Debora Mittelstaedt – Fotografin

Liebe Debora, in der Zeitung war heute ein Text der Wissenschaftsredakteurin Sybille Anderl, warum die Zeit so anders vergeht seit März — Hast Du auch den Eindruck, dass die Zeit anders vergeht?

Irgendwie schon, ja. Ich weiß aber nicht genau wie anders.

In Deiner Biografie heißt es, Du hättest Dich schon in jungen Jahren für die Fotografie interessiert. Wie kann ich mir das vorstellen — sind Deine Eltern Fotografen? Hattest Du deshalb Zugang zu Kameras?

Überhaupt nicht. Ich komme nicht aus einer kreativen Familie.

Mein Vater war Physiker, aber auch ein Ästhet. Und meine Mutter hat ihr Leben lang therapeutisch gearbeitet. Aber ich habe ein Praktikum in der Schule gemacht, dort gab es eine Dunkelkammer. Und das hat mir sehr gefallen: die Arbeit in der Dunkelkammer. Anfangs habe ich nicht verstanden, worum es dort ging — aber als ich dann selbst ein Bild entwickelt habe und es unter Wasser zum Vorschein kam…

Das war die Ära vor dem iPhone und auch noch vor den Digitalkameras, nehme ich an.

Alles war analog. Ich hatte dann bald auch ein eigenes Labor zuhause. Ich habe in Schwarzweiß fotografiert und auch meine Filme selbst entwickelt. Die Vergrößerungen habe ich im Badezimmer gemacht.

Mit welchen Motiven hast Du dich beschäftigt?

Es waren von Anfang an Menschen. Damals habe ich meine Freunde fotografiert.

Warum kann man das, was man sieht, nicht fotografieren?

Ist das so?

Finde ich. Manchmal bin ich regelrecht enttäuscht.

Ich habe mir früher immer Bilder vorgestellt und weil ich die nirgends finden konnte, habe ich sie inszeniert und davon Aufnahmen gemacht. Da waren die Vorstellungen manchmal besser als meine Bilder davon. Dass die Wirklichkeit nicht so aussieht wie auf meinen Bildern, dieses Problem habe ich nicht oft. Ich glaube, dass ich mit meinen Bildern die Wirklichkeit erhöhen will. Viele Motive denke ich mir aus. Das sind geplante Bilder.

Das sieht man ihnen aber nicht an. Auf mich wirken sie wie Erinnerungsbilder. Wie aus meinem Gedächtnis heruntergeladen. Als ob ich da selbst dabei gewesen war. Hat das mit den Farben zu tun?

Kann gut sein. Mehrere Faktoren müssen zusammentreffen. Licht, Farbe — deren Temperatur vor allem — sind wesentlich. Es kann aber auch ein Gesichtsausdruck sein, eine Körperhaltung oder ein Kleidungsstück, das den Betrachter in eine andere Zeit versetzt oder ein vertrautes Gefühl hervorruft. Ich suche nach dem Moment, in dem das Bild über sein Motiv hinauswächst, in dem es allgemeingültig wird. Für meine Fotografie ist die Vorbereitung sehr wichtig. Damit schaffe ich erst einen Raum, in dem etwas entstehen kann. Wenn dann alles steht, wenn Farbe und Licht zueinanderkommen, denke ich nicht mehr viel nach. Dann gehe ich intuitiv vor. Irgendwann stimmt es für mich.

Ein Teil meines Eindrucks von den Erinnerungsbildern kommt sicher daher, dass Deine Bilder sehr filmisch sind; es könnten auch Standbilder sein.

Die Geschichte ist wesentlich für die Bilder. Ich habe früher auch Storyboards gezeichnet, sogar für Modeproduktionen. Film ist für mich eine der größten Inspirationen. Ich habe unglaublich viele Filme angeschaut in meinem Leben. Manche Szenen aus The Virgin Suicides zum Beispiel habe ich mir zehnmal hintereinander angeschaut um zu verstehen, warum ich die jetzt so irre toll fand. Eine bestimmte Ästhetik im Film habe ich regelrecht studiert um herauszufinden, wie sie sich herstellen lässt. Damit in mir, und dann im Betrachter, ein Film losgeht.

Du verwendest sehr häufig Tageslicht…

…eigentlich nur.

In der filmisch geprägten Kunstfotografie gibt es außerdem noch die Schule von Jeff Wall und Gregory Crewdson — mit extrem arrangierten Szenenbildern.

Ich komme eher aus der anderen Schule. Jeff Wall und Crewdson sind mir zu stilisiert. Etwas blutarm, für meinen Geschmack — auch wenn ich ihre Bücher in meinem Regal aufbewahre. Aber mich interessiert etwas anderes. Das finde ich beispielsweise in den Büchern von Tina Barney. Da lassen sich die Details in den Bildern bestimmten Welten zuordnen. Und damit befinde ich mich dann wieder in einem Film. Ich habe lange in den Vereinigten Staaten gelebt, bin viel gereist und von daher sind es solche fremdartigen Mikrokosmen, die ich mir zueigen mache. Das sind nicht immer Geschichten aus der Wirklichkeit, die dann entstehen. Oft sind es meine Vorstellungen von einem Ort oder von einer Person.    

Ich kenne zumindest ein sehr schönes Bild von Dir, bei dem es anders abgelaufen ist: Darauf ist eine Herde wilder Pferde zu sehen, tausende Meter hoch in den Anden von Peru…

…ich hatte irre Hunger. Außerdem noch geheult. Und ich war wütend. Ich war wütend auf unseren Guide, weil der nichts zu essen mitgenommen hatte. Wir waren vier Freundinnen.

Jeden Tag sind wir acht Stunden in den Anden bergauf gewandert. Vier Tage am Stück! Und der Typ hatte aus irgendwelchen Gründen bloß Möhren dabei. Und Oreo-Kekse. Kurz bevor das Foto entstanden ist, hatte ich den Tiefpunkt meiner Verfassung erreicht. Da sagte eine meiner Freundinnen ‹Dreh‘ Dich mal um›. Und dort rannte eine Herde wilder Pferde — ich habe zwei Aufnahmen davon gemacht. In der Fotografie bin ich sehr schnell.

Ein anderes Bild, das wir auch zum Kauf anbieten, zeigt einen Blick aus dem Fenster. Es ist das Fenster in einem Country Club in Marokko. Man schaut aus diesem Fenster auf Kakteen und mit einem Mal weiß man sogar, dass es in diesem Zimmer einen offenen Kamin gegeben haben muss — Das ist das, was ich mit Erinnerungsbild meine. Ich war natürlich noch nie selbst in diesem Country Club! Aber wie in einem Gedicht sind hier sämtliche Informationen stark verdichtet, sodass der Anblick des Fotos in mir etwas auslösen kann wie sonst bloß eine Erinnerung.

Das ist genau das, was in mir passiert. Genau deshalb mache ich solche Fotos.

Im Grunde gehst Du vor wie ein Dichter. Du fühlst Dich in eine Situation ein und berichtest dann mit diesen Bildern. So wie man früher für bestimmte Situationen bestimmtes Filmmaterial ausgewählt hat.

Je mehr ich mich im Vorhinein mit der Situation beschäftige, desto näher komme ich dem Bild. Aber wir reden jetzt auch über freie Arbeiten. In der angewandten oder kommerziellen Arbeit kann ich nicht alles selbst entscheiden, aber trotzdem denke ich auch davor viel nach. 

Wie wichtig ist Dir die freie Arbeit?

Nicht wegzudenken. Die freie Arbeit kann Dir keiner nehmen. In der Auftragswelt herrscht Ebbe und Flut. Man kann das nicht wirklich kontrollieren. Die Kontrolle über die freien Arbeiten liegt ganz in meiner Hand. Das ist eine Energie, die man nicht zuschütten darf, wenn man viel in der Auftragswelt zu tun bekommt. Das Freie muss begleitend bleiben dürfen. Mein Ziel war immer, dass es alles eins sein wird.

Seit Deinen Tagen in der Dunkelkammer hat sich in der Welt der Fotografie alles verändert. Mittlerweile fotografieren Milliarden mit ihren Telefonen. Die eingebauten Filter heißen ja teilweise gleich ‹Vogue›, das schaut alles gleich super aus. Hat diese Entwicklung auch etwas verändert an der Art, wie Du fotografierst?

Das Komische ist, dass ich früher schon so fotografiert habe, was diese Filter heute nachahmen sollen. Den Polaroid-Look hatte ich vor zwanzig Jahren. Damals war das nicht sehr üblich. Meine Farbgebung galt damals auch nicht als modern. Mit Instagram wurden das viele, die so fotografiert haben wie ich. Mich hat das nicht verändert. Ich bin gleich geblieben, glaube ich. Weil ich auch gar nicht anders kann.

 

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