
Egill Sӕbjörnsson – out of controll –
Egill Sӕbjörnsson hat auf seiner bis in die neunziger Jahre zurückreichenden Laufbahn als Bildender Künstler schon so einiges geschaffen. Aber dies ist sein erstes Parfum. Es heißt «Out Of Control» — kein ungewöhnlicher Name für die Parfumkultur, in der Flakons häufig einen Exzess versprechen, der den meisten in ihrem Alltag nur noch als Fantasie möglich scheint. Doch eher ungewöhnlich wirkt aber die Geschichte von Egill, dass nämlich zwei veritable Trolle, also zauberische Fantasiewesen aus seiner Herkunftsinsel Island, dieses Parfum ersonnen und angemischt haben sollen. Wir wissen freilich, dass diese Geschichte so nicht stimmen kann. Wir aber kam es dazu?
Herr Sӕbjörnsson bezeichnet sich selbst übrigens nicht als einen Parfumliebhaber. Zu MDC kam er eines Tages, um sich einen Raumduft zu besorgen, den er in einem Café in New York kennen und schätzen gelernt hatte. Als einen Liebhaber der schönen Dinge, auch Düfte — wie beispielsweise diesen Raumduft, wie beispielsweise den Duft von Kaffee —, aber auch von schön gestalteten Räumen, von kunstvoll angerichteten und zubereiteten Speisen, bezeichnet sich Egill Sӕbjörnsson natürlich und wahrheitsgemäß sehr gern.
Das Parfum mit dem ein Chaos versprechenden Titel hat der Künstler mit Geza Schön entwickelt. Auch in den Pressegesprächen tritt, wenn überhaupt, Egill selbst auf, und nicht die Trolle Ugh und Boogar. Sie sind übrigens, das ist Egill Sӕbjörnsson wichtig, festzuhalten «Höher als Godzilla, ein jeder 36 Meter hoch.» Fantasiefreunde halt. Man kennt es, war ja selbst einmal ein Kind.
Das Parfum entstammt diesem fantasievoll ausgemalten Kosmos, den Egill Sӕbjörnsson für den isländischen Pavillon der Biennale 2017 entworfen hat. «Im Grunde war dieser Pavillon eine einzige Espressobar», sagt Egill «Betrieben von Ugh und Boogar, den beiden Trollen. Normalerweise ist es ja so, dass die Leute einen Ausstellungsraum betreten und dann mit ihren Augen die Kunst von den Wänden grasen. Meine Idee war es, dass die Leute dort aber auch von meiner Kunst, diesen beiden Trollen, konsumiert werden könnten.» In der Folge entwickelte er eine komplette Serie von trollaffinem Merchandise, die neben Espressotassen und Zuckerdosen eben auch ein Parfum beinhalten sollte.
Bei einer Tasse mittelmässigem Kaffee in einem okay eingerichteten Café macht Egill Sӕbjörnsson deutlich, dass Trolle für einen Isländer eben nicht das naheliegendste, sondern das aller fernliegendste Sujet von allen bedeuten. Vergleichbar ungefähr mit Bollenhut und Kuckucksuhr für eine künstlerisch tätige Person aus dem Schwarzwald «Für einen Isländer ist das Reden über Trolle in etwa so interessant wie für einen New Yorker das Nachdenken über die Freiheitsstatue.» Reminder: Trolle spielen auch im Oeuvre von Björk keine Rolle.
Aber, und das ist das Wunderbare an der Kunst: Die Vermeidung führt auch nicht zum Ziel. Und so findet sich heute auf der Rückseite des Flakons von Out Of Control eine Liste mit Inhaltsstoffen, die jeder menschliche Parfumeur ins Reich der Fabel verweisen müsste — wo aber Trolle wie Ugh und Boogar regieren! Und sie sind es, so die Fabel, die dieses Parfum aus den Zutaten ihrer Realität gemischt haben. Beziehungsweise haben sie Geza Schön die Hände geführt.
In jedem neugebauten Museum, sagt Egill Sӕbjörnsson, ist heute der Museumsshop beinahe schon so groß wie der wichtigste Ausstellungsraum. Heute Künstler zu sein und sich damit in einem kapitalistischen System zu behaupten, erfordert Strategien, die teilweise aus der Luxusbranche bekannt sind: Kooperationen mit anderen interessanten Köpfen, um Synergien zu nutzen. Neuartige Produkte entwickeln, die in limitierter Auflage und mit hohem Wareneinsatz ihren Ausnahmestatus unter den industriell Hergestellten behaupten können.
Das klingt, wir geben es gerne zu, ein bisschen wenig romantisch für einen Naturburschen aus Island, aufgewachsen auf einem Hof, 45 Kilometer von Reijkjavik entfernt. Ist Egill Sӕbjörnsson am Ende gar keiner?
Seine Antwort, heiter und trocken zugleich, sein Signature Humor: Auf Island hat man keine Wahl, es gibt keine Alternative zum Naturburschendasein. Aber wenn der Frühling dann endlich kam, habe ich mich als Kind bäuchlings auf die Straße gelegt und dem Asphalt einen Kuss gegeben. Weil ich jetzt riechen konnte, dass er sich allmählich erwärmt.
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