
Marie Lou Sellem – Schauspielerin
Liebe Marie-Lou, als wir uns neulich beinahe zufällig in München begegnet sind, hast Du mir spontan vorgeschlagen, dass wir gemeinsam etwas tun sollten, um die «Rasselbande» zu unterstützen — zwei Deutsche, die sich in Spanien um die Vermittlung verwahrloster Hunde kümmern. Vielleicht kannst Du kurz erzählen, wie Du selbst auf diese Organisation gestoßen bist.
Eine meiner allerbesten Freundinnen, Catrin ist eine der Striebeck-Schwestern. Deren Eltern wiederum haben vor fünfzig Jahren ein Haus zwischen Marbella und Malaga gekauft. Die andere Schwester, Janna lebt inzwischen dort. Wenn man dort unten ist, begegnet man andauernd Menschen, die sich um die herrenlosen Hunde kümmern wollen; die sind dort zu einem richtigen Problem geworden. Ich selbst habe mir jetzt schon den dritten Hund aus einem südlichen Land mitgebracht. Man muss ja gar nicht groß nach Ihnen suchen, sie laufen einem zu. Sie streunen durch die Gegend, sind manchmal kurz vor dem Verrecken, dann nimmt man sie bei sich auf und nimmt sie mit nach Hause.
Es gibt ja viele Länder und Kulturen, in denen Hunden oder auch Katzen eine ganz andere Stellung zugewiesen wird. Wo allein der Begriff vom Haustier ganz auf dessen Nützlichkeit festgelegt ist.
Der Nutzen von Hunden und Katzen in unsrer westeuropäischen Gesellschaft ist heute sicher vor allem der, uns sozialen Beistand und Gesellschaft zu leisten.
Es sind Tiere, denen wir zuschreiben, dass sie auf unsere Hilfe angewiesen sind — was auch nicht stimmt. Allerdings sieht man dann, nur wenige Kilometer südlich von Deutschland, beispielsweise auf dem Balkan, wie anders ein Stadtbild wirken kann, wenn Hunde und Katzen dort herrenlos in den Gassen leben. Was ist denn Dein persönliches Verhältnis zum Tier?
Ich hatte sowohl Katzen, als auch Hunde, aber ich habe noch nie ein Tier erworben. Ich habe noch nie aktiv etwas unternommen, um ein Tier zu bekommen. Die Tiere sind immer zu mir gekommen. Auf irgendwelchen Wegen. In der Regel war es ihre Not , die uns zusammengeführt hat. Weder mein Mann noch ich können dann an diesem Tier in Not vorübergehen. Wir sind ja oft in der Bretagne und finden dort z.B häufig kranke Möwen, die wir dann dem Vogelschutz bringen.
Was fehlt diesen Vögeln?
Manchmal ist ein Flügel gebrochen oder ein Bein. Andere wurden angefahren und liegen hilflos herum. Auch in Berlin haben wir schon etliche Tauben versorgt, die aus eigener Kraft nicht mehr weiterkamen. Wir haben diesen Drang zu helfen, entweder man hat den, oder man hat ihn einfach nicht.
Aber für Deine persönlichen Tiere lässt Du es darauf ankommen, dass Dein Lebensweg und der eines Tieres sich kreuzen…
So ist es. Und wie bei jedem Menschen auch werde ich mich dann entscheiden, zu helfen. Es sind natürlich mehr Tiere deren Leben wir auf diese Weise helfend beeinflusst haben, aber Menschen würden wir ebenso helfen…das ist ja klar! Wenn ich an unser Familienleben denke, haben unsere Hunde eindeutig dafür gesorgt, dass unsere Tochter nicht ganz ohne „Geschwister“ aufwachsen musste. Sie hat sich nie alleine gefühlt, obwohl sie Einzelkind ist. Nach dem Tod meines Vaters, haben die Hunde auch meiner Mutter Trost gespendet und sie mit uns vor die Tür getrieben. Tiere schaffen Gemeinschaft. Wenn man mit Hund in einer Großstadt lebt, trifft man auf Hundegängen andere Menschen mit Hunden, zu denen man ansonsten keinen Zugang fände, vielleicht. Man spricht über die Hunde. Im städtischen Kontext kommt dem Hund eine noch einmal andere Bedeutung zu, als auf dem Land. Auf dem Land ist vielleicht eher noch der Wach- oder Hofhund gefragt. In der Stadt stellt der Hund einen Ausgleich dar zu einer ansonsten ganz auf den Menschen zugerichteten Kultur: Stressabbau. Ein Mittel gegen die Vereinsamung. Auch ein Mittel zur Kommunikation.
Tiere können ihre Verwendung nicht hinterfragen. Sich auch nicht dagegen verwehren. Gerade in der zurückliegenden Zeit von Lockdowns und Isolation haben viele sich Tiere angeschafft, um nicht alleine zu sein. Auch um eine Beschäftigung zu haben, die vom Kreisen um sich selbst Abhilfe schafft. Viele haben wohl auf diese Weise erst erfahren, was es eigentlich bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für ein Tier.
Die Tierheime haben ja auch irgendwann die Tore dichtgemacht. Die meisten Waren kann man bei Nichtgefallen zurücksenden. Für Tiere gilt das zum Glück nicht. Von daher prüfen seriöse Züchter oder die Vermittler von herrenlosen Tieren wie die von uns unterstützte Rasselbande sehr genau, wer das da grade ist, der sich das Tier anschaffen will. Als ich meinen marokkanischen Hund Hilde kennengelernt habe, wollte ich eigentlich meinen Mann dort bei Dreharbeiten besuchen. Hilde ist mir vor das Auto gelaufen. Ich habe sie dann hochgepäppelt, konnte sie aber zunächst nicht mitnehmen. Einen Monat später, ich hatte sie währenddessen versorgen lassen, konnte ich sie wieder besuchen. Meine Prämisse war: Wenn sich dieser Wildhund an mich erinnert und mit mir mitkommen möchte, dann, aber nur dann nehme ich sie mit. Es kam dann genau so.
Hat sie ihre Wildheit abgelegt?
Eigentlich nie! Das war das Tolle an ihr. Sie ist uns auch ein paar Mal abgehauen. Auch die Wohnung hat sie zerlegt. Aber Hilde war ein irrsinniger Hund, die dann noch elf Jahre bei und mit uns gelebt hat.
Elf Jahre sind eine sehr lange Zeit, über deren Spanne sich vielleicht manche nicht im Klaren sind; was damit auf sie zukommt — auch an Verpflichtungen.
Ich gehe alle vier Stunden mit unseren Hunden ‚raus. Und wenn ich es selbst nicht kann, weil ich beruflich engagiert bin, muss ich jemanden finden, der das für mich macht. Unsere Hunde werden bewegt, die liegen nicht den ganzen Tag zuhause. Ein Hund braucht das. Er braucht eine gewisse Art von Bewegung und es ist meine Aufgabe, zu gewährleisten, dass er sie auch bekommt.
Das könnte für einige ein Zuviel an Commitment sein. Der Hund löst sich ja auch nicht in Wohlgefallen auf, wenn man ihn fotografiert hat — er ist die ganze Zeit über da. Es gab vor einigen Jahren einen sehr bewegenden Film von Nicolette Krebitz, «Wild», in dem Lilith Stangenberg einen Wolf bei sich aufnimmt in einem Zimmer ihrer Plattenbauwohnung. Wolltest Du auch schon einmal ein anderes Tier haben als Katze oder Hund?
Na ja, mein Traum ist immer ein Affe gewesen. Einen Schimpansen wollte ich immer haben.
Wie den von Grzimek und Trigema?
Wohl eher, weil die Schimpansen uns noch näher sind. Weil sie ähnlich klug sind. Weil ich sie wahnsinnig niedlich fand und mein Vater mir als Kind einen Schimpansen aus Plüsch geschenkt hat. Meine Tochter wollte natürlich immer ein Pferd. Ich würde gern mit einem Tier leben, aber mein Leben ist einfach nicht tiergerecht. Viele Tiere brauchen einen anderen Umgang, eine andere Behausung auch, als ich sie ihnen geben kann. Es gibt übrigens, wo wir bei Wild waren, ein sehr empfehlenswertes Buch von Nastassja Martin, es heißt «An das Wilde glauben». Geschrieben von einer Anthropologin, die auf der Spur eines Bären von diesem Tier angegriffen wird. Er hat ihr das halbe Gesicht weggerissen. Das Wilde gibt es nämlich. Jenseits aller Romantik. Und nicht nur in solch einem Fall stellt sich die Frage: Was ist eigentlich Zivilisation?
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