Vera Koppehel – Der Schlüssel liegt im Rhytmus

Vera Koppehel, die sich der Vermittlung von Eurythmie widmet, und ich kennen uns von einer Begegnung in der Paul-Schatz-Stiftung. Seitdem standen wir im lockeren Austausch von Ideen und haben nun endlich in diesem Frühling eine Form gefunden, MDC und Eurythmie miteinander in Verbindung zu bringen.

MELANIE DAL CANTON
Vera, ich freue mich, dass wir im Mai eine Schulung bei uns veranstalten werden, in der Du unseren Therapeutinnen das eurythmische Prinzip näher bringen willst. Im Nachgang sollen dann, was ich besonders interessant finde: auch unsere Kundinnen und Kunden die Gelegenheit haben, Einzelcoachings in Eurythmie mit dir zu buchen. Nun werden sich bestimmt auch einige fragen, was der Kosmos von Kosmetik, für den MDC grundsätzlich steht, mit Eurythmie zu tun haben kann.

VERA KOPPEHEL
Ich würde da gerne einsteigen mit einer Begriffserklärung. Nämlich von Kosmos und Kosmetik. Beide lassen sich auf den selben Wortstamm zurückführen, also Kosmeo. Dieses Wort hat im Altgriechischen die Bedeutung von Ordnung, Schönheit. Auf jeden Fall von dem Gegenteil von Chaos. Und Eurythmie ist auch ein Wort aus dem Altgriechischen und bedeutet dort so viel wie «schöner Rhythmus». Wobei sich dieser rhythmische Schönheitsbegriff nicht nur auf das Tänzerische beschränken lässt. Wenn man sich hierbei einen antiken Tempel vorstellt, vor allem das Portal des Tempels mit seinen Säulen, dann ergibt die Regelmäßigkeit dieses Säulenfeldes einen Rhythmus. Den von Säule und Nicht-Säule. Die Schönheit liegt in der Regelmäßigkeit dieser Abwechslung. Dadurch entsteht sein ästhetischer Reiz. Und die Bedeutung des leeren Raumes zwischen den Säulen für die Schönheit der Säule bezeichnete man in der Antike mit Eurythmie. Es geht um Maßzahlen, um Gesetze, um Ordnung, Wahrheit, Schönheit. Die Schönheit ist das Einfallstor, denn sie können wir mit unseren Sinnen wahrnehmen.

Dir sind bei uns im Laden sofort zwei Dinge ins Auge gefallen: Unser kupfernes Handwaschbecken und ein Modell des Oloids.

Kupfer besitzt für mich einen wesentlichen Faktor und das ist Wärme. Auch Reinigung. Dann das Oloid, im Grunde ein geometrischer Körper, der aber voller Schönheit und Magie steckt und der das Äußere integriert und das Innere transformiert. Für mich ist das Oloid ein Ursymbol, wie kosmische Kräfte ganz konkret auf uns wirken können. Dich, Melanie, hat das Oloid unter anderem zur Herstellung einer Seife inspiriert und diese Seife in Form eines Oloiden reinigt ja nicht nur, sondern sie verströmt auch noch einen besonderen Duft, den Duft Deines Parfums, dessen Flakon in der Form eines Kubus gehalten ist. Paul Schatz hat das Oloid ja aus der Umstülpung eines Würfels im Raum gewinnen können. Aus meiner Sicht ist es das Oloid, welches Deine Arbeit für MDC und meine verbindet. Im Mai sollten wir uns dabei auf Wärme und Wärmegenerierung konzentrieren. Wie wir Wärme für unsere Selbstheilungskräfte bestmöglich zu nutzen lernen. Dafür ist es wichtig, dass wir uns zunächst um unseren Wärmeorganismus kümmern; ihn wahrzunehmen erlernen.

Was bedeutet das für Dich: Wärmeorganismus?

In unserem Körper geht es vergleichbar zu wie in einem Bienenstock. Unsere Körpertemperatur und die Temperatur im Inneren eines Bienenstockes sind ungefähr gleich, sie liegen beide zwischen 36 und 37 Grad. Das ist ja schon erstaunlich — Wie machen wir das eigentlich? Denn in unserem Körper gibt es kühlere Regionen und es gibt regelrecht heiße: die Leber beispielsweise ist von ihrer Betriebstemperatur her wärmer als das beständig schlagende Herz. Und genauso wie der Bien in seinem Bienenstock, kümmert sich unsere Körperintelligenz darum, dass dieser körpereigene Wärmehaushalt immer nach Ausgeglichenheit strebt. Auch wenn wir schlafen. Was das für unsere Arbeit mit dem Körper bedeutet, welche Möglichkeiten es da für uns auf der therapeutischen Seite gibt: darum soll es im Mai bei unserem Seminar und Workshop gehen.

Ist der Wärmeorganismus ein klassisches Thema der Eurythmie?

In der Eurythmie arbeiten wir klassischerweise mit Energie und Kraftfeldern von Farben, Klängen, Lauten und natürlich mit Bewegung.

Dabei lehrst Du dann vor allem Bewegungsabläufe, oder bringst Du dabei auch Düfte mit ein oder Substanzen?

In der Zusammenarbeit mit den Therapeutinnen von MDC wird aus Bewegung Medizin — in einem Sinne von Heilsamkeit. Die Eurythmie ist eine holistische Lehre. Sie arbeitet schwingungsbezogen und sie arbeitet mit und durch Farben, durch Klänge, durch Worte und natürlich auch durch die Energie der Stille. Die Stille entspricht hierbei der Lücke zwischen den Säulen des Portals, durch die diese erst zum Vorschein gebracht werden. Die Bewegungen der Eurythmie fußen auf Mustern, die unsere Seele ganz gut kennt, weil wir alle diese Bewegungen in uns tragen. Wir sehen und finden sie auch um uns herum. In den Wuchsformen der Pflanzen. In den Spiralen der Schneckenhäuser. Im Wehen der Ähren etc. In der Betrachtung eines Schneckenhauses, in der Betrachtung des menschlichen Schlüsselbeins wird offensichtlich, dass selbst vermeintlich starre Formen aus innerer Bewegung hervorgegangen sind.

Das macht das Oloid so faszinierend: Ein fester Körper, der ganz flüssig scheint, ganz Wirbel…

Wenn Wasser im Strudel einen Trichter formt, weil man ein Ei pochieren will zum Beispiel, wird mit einem Mal die Entstehungsform offengelegt: Der Wirbel, die Spirale, das Schneckenhaus bis hin zum kosmischen Wirbel einer Galaxie. Das ist wichtig bei Eurythmie, dass wir wieder lernen, Dinge neu oder anders zu sehen. Da geht es dann auch um Prozesse der Bewusstwerdung. Manches ist nur verschüttet worden; kommt rasch zu Tage zurück.

In der alltäglichen Praxis haben wir natürlich mit Großstädtern zu tun, die einen anderen Energiebegriff haben. Weniger meditativ und auf Erkenntnis gerichtet, dafür konzentriert und auf Entspannung fokussiert. Vor allem spüren alle hohe Energielevel von Stress. Wie gehst du auf die Menschen zu und holst die da so ein bisschen runter, dass die sich überhaupt darauf einlassen können auf so eine feinnervige Überlegung, wie die Eurythmie ja scheinbar voraussetzt?

Ein kleines Bisschen Kooperation darf ich voraussetzen. Wenn man sich total verschließt, also wenn ich einfach zumache, funktioniert natürlich auch keine Fantasie mehr. Eigentlich nicht einmal mehr eine Massage. Aber ein großes Vorwissen braucht es nicht. Man muss jetzt nichts lernen, weil alle diese Energien, die wir für Eurythmie brauchen, von sich aus entstehen. Wir tragen sie in uns. Jeder bringt sie mit. Und in einem der Newsletter ging es ja neulich um die Selbstfürsorge. Und das, denke ich, könnte der stärkste Anreiz sein, damit man sich entschließen kann, zu uns zu kommen: Dass man diesem Gefühl nachgibt, etwas für sich tun zu wollen. Nicht für die anderen, nicht weil es einem abverlangt wird oder weil man etwas entsprechen will, sondern: für sich. Das kann anfänglich einen pragmatischen Grund haben Man sagt: ich will eine Massage. Aber währenddessen spürt man, dass man noch etwas anderes braucht hat. Nämlich: Ich brauche Entspannung. Und wir wissen mittlerweile, dass mit einem Moment der Stille auch ein neuer Bezug zu sich selbst entstehen kann. Und aus dem verbesserten Bezug zu sich selbst entstehen neue Bedürfnisse. Sie treten zu Tage. Und dann spüre ich intuitiv:
Ah! Eigentlich habe ich mal einen Moment für mich gebraucht, um wieder an meine Quellen heranzukommen. Das ist ein wertvoller Erkenntnisgewinn.
Es geht nicht um Egoismus oder um Luxus oder so, sondern um die Grundvoraussetzung, gut zu sich selbst zu sein. Wenn ich nicht gut zu mir selber bin, wenn ich mich mit unschönen Gedanken auseinandersetze, mit Neid und mit Gier, dann bin ich für die Welt um mich herum auch sehr unschön, sehr anstrengend und diese Welt spiegelt mir das dann zurück.

Hier scheint auch wieder der Schönheitsbegriff von MDC auf. Kosmetik und Kosmos, wie eingangs von Dir erklärt.

Fotos: Stefan Pangritz

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