Nicole Danichevski- Die Rettung meines Großvaters

Liebe Nicole, ich muß Dich im Grunde nicht mehr vorstellen. Wer sich bei MDC behandeln läßt, kennt Dich als fröhliche, stets sehr zuvorkommende und vor allem sachkundige Therapeutin. Nun werden aber nicht alle unserer Kundinnen und Kunden wissen, dass Du familiäre Wurzeln in der Ukraine hast — aufgewachsen bist Du hier. Als ich die Geschichte von der Flucht Deines Großvaters Anatolii Adamenko aus der Ukraine über Polen hierher, nach Berlin gehört habe, dachte ich, das dürfte viele unserer Leser:innen des Journals interessieren — oder angehen. Schön, dass Du Eure Geschichte mit uns teilen willst. Die Ukraine war ja für die meisten Deutschen bis vor kurzem noch ein Land, von dem man kaum etwas wußte…

Ich war ja übrigens gerade dabei, mich hier in Deutschland einbürgern zu lassen. Wie Du gesagt hattest: Geboren bin ich hier in Berlin. Und eigentlich wollte ich bis vor kurzem auch selbst nicht wirklich etwas mit der Ukraine zu tun haben. Von meiner Identität her. Ich wollte einen deutschen Pass. Und dann kam plötzlich dieser Krieg. Für mich völlig überraschend. Für die Politik, die damit zusammenhängt, habe ich mich nicht sehr interessiert. Von daher konnte ich das nicht kommen sehen. Die Nachricht war ein Schock. Mein Onkel, der hier in Berlin arbeitet, aber eigentlich in der Ukraine lebt, war noch in der Woche vor dem Einmarsch der russischen Truppen dort. Drei Tage bevor es losging, kam er mit dem Flugzeug zurück. Im Nachhinein hatte er es gerade noch rechtzeitig außer Landes geschafft. Alle Ukrainer, die ich kenne, haben es nicht kommen sehen. 

Und ist Dein Großvater dann noch der einzige aus Deiner Familie gewesen, der nach dem Einmarsch in der Ukraine verblieben ist?

Nein, bis auf meine Mutter und meinen Vater lebt meine komplette Familie dort. 

Kennst Du das Land?

Als Kind war, war ich regelmäßig dort. Ich hatte viel Kontakt mit meiner Cousine, die drei Jahre älter ist als ich. Seitdem ich berufstätig bin, sind meine Besuche dort seltener geworden. Man sucht sich andere Ziele für die Reisen aus, wenn die Zeit knapper geworden ist. Als meine Cousine geheiratet hat, vor vier Jahren, war ich zum letzten Mal in Kiew. 

Wie kam es dann dazu, dass Du deinen Großvater nach Berlin bringen wolltest?

Vor anderthalb Jahren war seine Frau gestorben, seitdem lebt er allein in Tschernihiw, so heißt die Stadt, aus der meine Familie mütterlicherseits stammt. Man sagt, 90 Prozent von Tschernihiw sind mittlerweile zerstört. Mein Großvater hat dort in einem kleinen Holzhaus gelebt. In diesem Haus hat er sein Leben lang gelebt. Das war auch schon das Haus seiner Eltern… ich nehme an, er wollte dort für immer bleiben. Aber irgendwann wurde die Situation unerträglich. Wenn ich ihn angerufen habe, waren im Hintergrund die Schusswechsel und die Einschläge der Bomben zu hören.   

Grauenvoll.

Ja. Da geht es mir wie Dir, da geht es uns wie den jungen Ukrainern: Wir hören das und sind fassungslos. Und wenn man dann am anderen Ende der Leitung den Opa hat, der 80 Jahre alt ist, der weint… Vor allem, weil er alleine war. Das hat mir die größte Sorge bereitet. Meine Cousine hatte die Stadt schon früher verlassen und hatte sich aufgemacht zur polnischen Grenze. Gottseidank ist es ihnen dann von dort aus gelungen, die Flucht für Anatolii zu organisieren. Das war wohl nicht einfach. Wir können uns hier glaube ich nicht oder kaum vorstellen, wie es zugeht, wenn ein Krieg herrscht. Die Flucht lief mit Bussen, ständig war der Akku des Telefons leer, es gibt ja nur noch sporadisch Strom — und so fort. Und man hat ja nichts mehr dabei. Die Habseligkeiten. Das ist alles unvorstellbar für uns. Und in Polen landete mein Großvater dann in einer Wohnung, in der schon zwölf Menschen zusammen lebten. Für einen Achtzigjährigen geht das einfach nicht. Der braucht nicht nur Platz, er braucht auch Ruhe.  

Wie geht es ihm jetzt hier in Berlin bei Dir?

Er ist natürlich glücklich, dass er in Sicherheit ist. Wir regen uns ja alle immer wieder mal über Kleinigkeiten auf, wenn der Bus einem vor der Nase wegfährt und so weiter. Aber wenn man aus einem Kriegsgebiet hierher kommt, ist Berlin ein Garten! Anatolii lebt jetzt bei meiner Mutter, seiner Tochter, das ist dann natürlich doppelt schön für ihn — aber ein Zuhause wird es für ihn wahrscheinlich nicht. Er will unbedingt wieder zurück. Und auch das können wir vermutlich nicht verstehen, denn im Vergleich mit seinem Holzhaus dort lebt er hier im Luxus. Und trotzdem würde er am liebsten zurück. In seine Heimat. Er vermisst seine gewohnten Lebensmittel, seine Nachbarn. In der Ukraine kennen sich alle Einwohner eines Stadtviertels wie dem, aus dem er fliehen musste, untereinander. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu einem Leben in einer deutschen Stadt. Selbst hier, in Prenzlauer Berg, wo es ja betont dörflich zugehen soll, lebt es sich im vergleich damit noch anonym. Trotz allem ist er natürlich sehr dankbar, dass er jetzt hier sein kann. Er war übrigens noch nie zuvor in Deutschland oder überhaupt irgendwo anders als in Polen. Ich sehe es so, dass es eine Art Urlaub wird für ihn. Urlaub in Berlin. Wollen wir hoffen, dass er sich nicht allzu sehr in die Länge ziehen wird für ihn. 

 

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