Susanne Kippenberger

Mit Susanne Kippenberger habe ich aus naheliegenden Gründen am Telefon gesprochen — obwohl wir in der selben Stadt leben. In Ihrem neuen Buch mit dem schönen Titel ‹Die Kunst der Großzügigkeit — Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin› geht es um das wichtige Thema Geben und Schenken, aber halt auch um das Annehmen von Gaben, wozu eine gewisse Fähigkeit zur Hingabe gehört. An einer Stelle schreibt Susanne Kippenberger, dass sie ihr Geschenkpapier bei Hobby Rüther einkauft. Da dachte ich: Der Laden ist doch bei MDC um die Ecke, warum sind wir uns dann nie begegnet? Stellte sich heraus, dass es zwei Geschäfte gibt, eins in Prenzlauer Berg und eines in Schöneberg, wo Frau Kippenberger wohnt. Tja, so kann man sich nicht bloß täuschen, so groß ist halt vor allem auch Berlin …

Ich habe Ihr Buch mit großem Vergnügen gelesen. Mir ist dabei eingefallen, dass es in meiner Kindheit noch diese Kinowerbung gab, bei der wurde die gesamte Leinwand weiß und eine Stimme fragte «Ne Platte, ein Buch oder ein Kinogutschein?» Diese Werbung lief das ganze Jahr über, um den Kinogutschein als Geschenkartikel anzupreisen.

Und, fanden Sie das verlockend?

Nein, überhaupt nicht. Als Kind war ich aber auch noch nicht in der verzweifelten Lage, nicht zu wissen, was ich schenken soll. Als Kind verschenkt man entweder Selbstgemachtes oder einen Gutschein…

…die dann nie eingelöst werden. Ich habe ja keine Kinder, aber das wurde mir von etlichen Eltern berichtet: Die kriegen Gutscheine für ein Frühstück ans Bett oder für’s Aufräumen, die aber nie eingelöst wurden.

Damals war halt auch der Gutschein das Geschenk. Prächtig verziert und von eigner Hand geschrieben, war er alleine schon die Rührung wert. Und darum geht es doch beim Schenken auch: Man will eine Reaktion erhalten.

Ja, unbedingt. Man will die Gefühle haben. Ich glaube, viele Menschen täuschen sich ein bisschen, wenn sie denken, dass es beim Schenken um bestimmte Gegenstände geht. Im Buch zitiere ich einen Synchronsprecher, der sagt, dass er nichts geschenkt will, weil er schon alles hat. Er brauche nichts. Aber darum geht es ja gar nicht. Natürlich braucht man keine Socken mehr. Es geht um die Verbindung zwischen dem, der schenkt, und dem, der beschenkt wird. Im Idealfall wird die Verbindung dadurch bestärkt.

Das Schenken ist zu festgesetzten Gelegenheiten etwas, das im Raum steht: An Weihnachten, zum Geburtstag und anderen Jubiläen muss etwas geschenkt werden. Gerade Kinder schenken ja gerne auch außerhalb dieser Tradition. Ihr Buch handelt ja auch gar nicht vom Schenken, denn eigentlich geht es Ihnen um Großzügigkeit. Und was mich überrascht hat: Bis zum 19. Jahrhundert gab es noch keine gekauften Geschenke.

Ich habe selbst viel gelernt beim Recherchieren und Schreiben dieses Buches. Auch dass Geschenkpapier erst dann erfunden wurde, nämlich um die gekauften Geschenke zu ‹entgiften›, wie man es damals empfunden hat. Heute ist es eher umgekehrt. Es gibt einen Witz, da überreicht jemand ein Geschenk und sagt ‹Das habe ich selbst gemacht.› Und der andere sagt ‹Macht nichts.› Kindern ist es weiterhin erlaubt, es ist sogar erwünscht, dass sie etwas selbst machen. Katja Blomberg, die Leiterin des ‹Haus am Waldsee›, hat gesagt, dass es in meinem Buch eigentlich um Hingabe geht. Sie hat eine Verbindung geschaffen zur spirituellen Welt des Yoga, wo ich mich überhaupt nicht auskenne. Aber neulich war ich zum ersten Mal seit dem Frühjahr wieder im Kino, in dem Film ging es um Arvo Pärt, und der Film handelte auch von der Hingabe, mit der er seine Musik macht. Diese Idee, dass Kunst ein Geschenk ist, auch wenn man für die Eintrittskarte bezahlen muss, finde ich faszinierend. In der Kunst steckt alles drin: die Hingabe und die Begabung, die der Künstler geschenkt bekommen hat. Natürlich muss man arbeiten, aber das Talent als solches bekommt man, von wem auch immer, in die Wiege gelegt.

Dann sprach man doch früher auch vom einem Kranz, der gefangen wurde. Als ob das Talent geworfen wurde, und eines der vielen Kinder fängt es auf.

Die Hingabe, ein altmodisches Wort, spielt eine sehr wichtige Rolle beim Schenken. Dass man sich Mühe gibt, etwas zu finden. Etwas, das Freude macht und dann auch zum anderen gehört. Ich habe ja eher positive Erfahrungen mit dem Schenken gemacht, aber ich habe mir viele Geschichten von anderen erzählen lassen. Und es gibt nicht wenige, für die hat das Schenken etwas Traumatisches bekommen.

Das Schenken oder das Beschenktwerden?

Das Beschenktwerden. Eine Frau berichtet von einem scheußlichen Teller, den sie von einer Tante zur Hochzeit bekommen hatte. Immer wieder kam sie auf diesen Teller zurück. Und wie diese Tante ihr etwas schenken konnte, das nicht zu ihr passt. Ich glaube, das ist das Entscheidende beim Schenken: Ob man sich gesehen fühlt, oder nicht. Wenn einem etwas geschenkt wird, was einfach nicht zu einem passt … Je enger die Beziehung ist, desto verletzender wirkt es. Wenn man mit einem Partner zusammen ist, der einem solche Teller schenkt, das stelle ich mir furchtbar vor.

Ich kann auch gar nicht vor anderen auspacken.

Das mag ich auch überhaupt nicht.

Ziehen Sie sich auf der Feier zurück und machen es dann?

Nein, ich mache es am nächsten Tag, in Ruhe und mit Genuss.

Sollte man Nachsicht üben mit einem ungelenken Schenker?

David Wagner hat gesagt ‹Das Geschenk ist das Geschenk›. Außer dem Fall, dass jemand etwas Böses will, oder einen beleidigen oder erziehen, geht es um die Geste. Zugegeben, manche Leute können es einfach nicht. Wobei ich finde, dass man Kinder dazu erziehen kann, zu schenken; dass es zu einer Kultur in der Familie wird. Ich habe es ja auch gelernt, weil meine Mutter so wahnsinnig gern geschenkt hat. Meine Eltern waren beide sehr großzügige Menschen. Bei uns in der Familie haben alle gern Geschenke gemacht. Aber eine Freundin hat mir beispielsweise erzählt, dass der Vater ihrer Mutter immer gesagt hat ‹Such‘ Dir was aus. Ich gebe Dir das Geld und lege es unter den Tannenbaum.› Dem Mann fehlt etwas, aber deswegen muss er kein schlechter Mensch sein.

Mir fällt gerade auf, dass wir viel von schenkenden Frauen reden. In Ihrem Buch ist das auch so, für Frauen ist Schenken ein Thema, für Männer eher nicht. Bei uns erleben wir gerade in der Weihnachtszeit oft Männer, die beinahe panisch, auf jeden Fall aber unter enormem Druck stehen. Sie suchen dann irgendwas. Und lassen es sich rasch einpacken, ohne genau hinzusehen. Woher, glauben Sie, kommt dieser Unterschied?

Der ist historisch gewachsen. Frauen sind seit Jahrtausenden diejenigen, die zu Hause waren; die das Heim verkörperten geradezu. Die Frauen haben sich nicht bloß um die Kinder gekümmert, sondern um alle sozialen Beziehungen. Leider Gottes hat dieser Zustand so lange gewährt, dass sich diese Verteilung einbürgern konnte. Inzwischen gibt es ja auch ein Wort dafür: Emotional labour. Man kennt es aber auch aus der eigenen Umgebung: Ab dem Moment, da ein Paar sich zusammengefunden hat und vielleicht auch verheiratet ist, sind die Frauen für die Beziehungen zuständig. Auch für die Beziehung zu anderen. Und damit für all diese Dinge: Kuchenbacken, Gäste einladen und Geschenke besorgen. Das ändert sich in der jüngeren Generation definitiv, aber in der mittleren und in meiner Generation ist das noch sehr oft so. Und was sie gerade über das Einpackenlassen gesagt haben: Darüber habe ich schon im Tagesspiegel geschrieben, da gab es böse Mails. Ich kenne ein paar Männer, nicht nur schwule, denen das Einpacken Freude bereitet, aber es ist nicht die Mehrheit. Und wenn man irgendwas Beliebiges kauft, kann es schnell verletzend werden.

Ich habe den Eindruck, es hat mit einem schiefen Selbstbild von Männern zu tun. Das hängt auch irgendwie mit der Weigerung von manchen Männern zusammen, sich einzucremen. Wobei diese Männer vermutlich unbewusst Angst haben, dass sie schwul sind, wenn sie zu sich selbst sanft werden. Wie könnte man denn Ihrer Meinung nach auf Männer so einwirken, was müsste ein Mann beherzigen, um ein besserer Schenker zu werden?

Vor allem müsste er mehr auf andere hören. Vielleicht muss man sie bei ihrem Jäger-und-Sammler-Instinkt, überhaupt: bei ihrem Ehrgeiz packen. Beim Schenken können sie doch echte Erfolgserlebnisse haben. Oder man erinnert sie an Zeiten des Verliebtseins, als sie sich so viel haben einfallen lassen, so viel Originelles. Wer sich überfordert fühlt, könnte auch eine gute Freundin — oder einen schwulen Freund, die können das — fragen, ob sie oder er ihn berät oder, noch besser, mit ihm loszieht und für einen Menschen, der ihm wichtig ist, was besorgt. Learning by doing! Schenken ist schließlich eine Sprache, eine Sprache der Gefühle. Und wie bei allen Sprachen muss man halt ein bisschen üben.

Könnte man also sagen, dass beim Schenken der Schenkende nicht im Geschenk enthalten sein muss? Ich glaube, Männer wollen ja auch gerne ihre Handschrift hinterlassen.

Ich finde, es müssen beide, Beschenkter wie Schenkender, im Geschenk enthalten sein. Ich verschenke zum Beispiel ungern etwas, zu dem ich selbst keinen Bezug habe. Wenn mein Neffe sich eine Bohrmaschine wünscht, müsste ich schon sehr über meinen Schatten springen.

Ein Geschenk, das wird einem beim Lesen in ihrem Buch klar, ist ein Zwischending. Etwas hat es von der Liebesgabe, etwas ist heilig — man sollte das nicht nebenbei erledingen.

Und das Schenken und Beschenktwerden durchzieht das ganze Leben. Darüber hatte ich mir zuvor auch noch keine Gedanken gemacht. Vom ersten bis zum letzten Moment und darüber hinaus — wenn zum Beispiel Spenden im Namen von Verstorbenen gemacht werden. Schenken ist wahnsinnig wichtig, wird aber nicht wichtig genommen. Eine Freundin sagte, nachdem sie meinen Fragebogen ausgefüllt hatte, es war wie eine Therapiestunde für sie. Wenn man sich damit beschäftigt, was einem wichtig ist, oder gewesen ist, das sagt unheimlich viel über die Beziehung aus, in der man lebt. Und wenn wir da noch einmal auf die Kinder schauen, die gerne außerhalb der offiziellen Anlässe Geschenke machen wollen: Das wäre generell für alle eine große Freude. Und eine Überraschung zudem.

Es kommt dann manchmal zu duellartigem Geschenkeabtausch: Man hat eine Überraschung bereitet, worauf es heißt ‹Ach, das musst Du doch nicht! Das sollst Du doch nicht!› Und prompt kriegt man bei der nächstmöglichen Gelegenheit etwas zurück. Können Sie gut Geschenke annehmen?

Mir macht das Schenken noch mehr Spaß. Aber ich habe auch das Annehmen gelernt. Manchmal kriege ich ein schlechtes Gewissen, wenn jemand sich für mich verausgabt hat, von dem ich weiß, dass ihm nicht viel Geld zur Verfügung steht. Aber ich schreibe ja auch, dass man Geschenke wirklich annehmen soll. Wenn man zum Essen eingeladen wird von jemandem, der sich das nur mit Mühe leisten kann, soll man nicht heimlich zum Kellner gehen, um zu zahlen. Das entweiht und entwertet das Geschenk. Das Geschenk muss respektiert werden.

Geldgeschenke, Geld überhaupt ist ein Riesenthema. Wie beschenken Sie denn junge Leute? Von denen weiß man doch, dass sie sich am meisten über Geld freuen. Es hängen ja auch an jeder Supermarktkasse diese Guthabenkarten für den App-Store, Netflix und Datenvolumen.

Guthaben für Netflix verschenke ich nicht, aber mittlerweile verschenke ich jüngeren Geld. Weil ich weiß, dass sie es am besten gebrauchen können.

Packen Sie dann Bargeld schön ein?

Ich stecke Scheine in einen Briefumschlag, schenke aber noch etwas Nettes dazu. Auch Kleinigkeiten sind übrigens ein großes Thema.

Sie kommen aus einer außergewöhnlichen Familie. Wenn Sie in ihrem Buch von den Ritualen Ihrer Eltern erzählen, dann wirkt das erstaunlich, sehr künstlerisch, wie Sie aufgewachsen sind. Und das, obwohl Ihre Eltern ja selbst keine Künstler gewesen sind.

Mein Vater war ein verkappter Künstler. Ein Bergbauingenieur, der von der Schule weg in den Krieg eingezogen wurde — wäre das nicht gewesen, wäre er ein Künstler geworden, hat er immer gesagt. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Er hat den Bergbau mit Vollblut betrieben. Aber er hat sich auch als Künstler verstanden und einen großen Einfluss auf unseren Bruder gehabt. Er hat gezeichnet, gemalt und Skulpturen gemacht; fotografiert und Bücher gestaltet. Er hat nicht darauf gewartet, dass ihn jemand einlädt, sondern hat dies alles von sich aus produziert. Er hat alles gestaltet: den Garten, die Inszenierungen der Feste bis hin zu seiner Beerdigung. Und meine Mutter hat geschrieben. Sie war Ärztin, Mutter von fünf Kindern und hat immer geschrieben — Glossen und Kurzgeschichten. Sie hätte schon gerne ein Buch veröffentlicht. Meine Mutter war nicht künstlerisch begabt, aber das Einpacken war für sie die Form. Wie für mich auch. Ich habe null Talent zum Zeichnen. Auch nicht zum Basteln oder Stricken. Ich kann kochen, und das Einpacken macht mir total Spass.

Das ist doch etwas Skulpturales.

Meine Methode ist es, Seidenpapiere in kräftigen Farben mit Ausgeschnittenem zu bekleben. Die Motive nehme ich aus Verlagsprogrammen, von den Flyern aus Museen, auch aus den Zeitungsseiten. Ich habe mittlerweile auch Freunde, die so umweltbewusst sind, dass sie selbst Verpackungen aus Papier ablehnen. Für die benutze ich ein Küchentuch, das man benutzen kann, oder halt Zeitungspapier.

Bei uns zuhause wurde das Geschenkpapier noch aufbereitet.

Bei uns auch: gebügelt, auch die Schleifen. Eine meiner Schwestern verwendet teures Geschenkpapier, das verwende ich dann auch noch einmal.

Welches Fest ist denn Ihr liebstes — Weihnachten?

Weihnachten und Geburtstage. Ich bin ein großer Fan vom Geburtstagsfeiern, weil es ein Fest des Lebens ist. Man schart Freunde und Familie um sich, das genieße ich sehr.

Wie stehen Sie zu Adventskalendern?

Waren eine große Sache bei uns zuhause — wir waren ja fünf Geschwister. Meine Mutter hatte einen Kalender gemacht aus einem Kleiderbügel, daran hingen die Päckchen an Streichhölzern; dann gab es einen, der war bestickt, mit Ringen daran, und es gab auch noch einen dritten. Aber jeder war immer nur alle fünf Tage dran. Ich muss schon sagen, wir sind sehr bescheiden aufgewachsen. Auch was Süßigkeiten angeht. Allein deshalb war der Adventskalender für uns etwas Tolles! Vor ein paar Jahren habe ich mich mal halb im Scherz beschwert, weil meine Schwester ihren über dreißigjährigen Kindern noch immer Adventskalender macht – und ich, warum krieg ich keinen?, hab’ ich gefragt. Im Jahr darauf, das hat meine Schwester mit meinem Neffen organisiert, bekam ich dann auch einen, der von Freunden und Familie bestückt worden war: lauter Päckchen in einem Korb. Das war eine Überraschung! Und Überraschungen finde ich ganz toll.

Meinen Sie, das Weihnachtsfest wird in diesem Jahr aufgewertet durch den Mangel an Alternativen?

Einerseits ja, andererseits wird es auch ungewöhnlich sein. Bei uns kommen ansonsten immer Freunde vorbei am ersten Feiertag, aber man weiß ja noch nicht, ob man dann zusammen sein darf. Und die Weihnachtsfeiern im Unternehmen werden ja auch nicht stattfinden. Ich bin überhaupt kein Fan von Weihnachtsmärkten, aber ich glaube, da werden viele traurig sein, dass die nicht stattfinden. Es wird eine seltsame Atmosphäre sein.

Uns bleibt das Schenken. Und was man von Ihnen und Ihrem Buch lernen kann: Das genaue Zuhören. Zu überlegen: Wer ist der andere? Womit könnte ich ihm eine Freude machen? Nicht unbedingt, was er gebrauchen könnte.

Mal kann eine Küchenmaschine schon passen. Aber nicht dauernd. Eine Frau in meinem Buch sagt irgendwann zu ihrem Mann: ‹Ich will nichts mehr mit Steckern dran.›

 

Die Kunst der Großzügigkeit — Geschichten einer leidenschaftlichen Schenkerin von Susanne Kippenberger ist bei Hanser Berlin erschienen.

 

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