Ali und Basti, Tiefschwarz
Hallo Ali, schön Dich wenigstens am Telefon zu hören. Wo befindest Du dich?
Ich bin in Berlin, in einer komischen Zwischenwelt namens Corona.
Zusammen mit sehr vielen anderen Menschen, mit etwa 5 Milliarden.
Ungefähr, ich glaube, es sind sogar noch ein paar mehr. Basti wäre übrigens auch gerne dabei, aber der ist gerade im Impfzentrum.
Was?
Ja, der ist mittlerweile Teamleiter im Impfzentrum Treptow. Dort arbeitet schon das halbe Nachtleben von Berlin. Dem ging ein Zusammenschluss verschiedener Booking-Agenturen voraus, unter anderem zwei ehemaligen Bookern von uns: «Booking United». Als Signal an die Stadt Berlin aber auch an die Bundespolitik, dass hier gerade eine ganze Branche den Bach hinunter geht. Daraufhin sind die Verantwortlichen für die Berliner Impfzentren auf diese Aktivisten aufmerksam geworden und ihnen dann die Leitung der Impfzentren angeboten. Inzwischen ist dort die ganze DJ-Blase und Nachtleben-Clique ist dort beschäftigt. Die Gründe sind klar: Diese Leute sind stressresistent, sie können mit Extremsituationen umgehen und haben ja auch leider nichts besseres zu tun. Und, das ist das Schöne: Sie werden für ihren Einsatz ordentlich bezahlt.
Wie war das für Euch beide persönlich, als schlagartig Schluss war mit Vielem, auch mit Eurem Arbeitsleben, dem Auflegen, den Partys überall auf der Welt?
Am Tag als Corona kam waren wir beide auf dem Weg zum Flughafen. Basti sollte nach Südafrika, ich nach Asien. Wir fragten uns: «Sollen wir es riskieren?» Und haben uns dann dagegen entschieden. Unser gesamtes Leben wurde von hundert auf null verändert. Meine Tochter und meine Frau mussten mit dem Rettungsflieger des Auswärtigen Amtes aus Marokko geholt werden. Anfänglich war das alles natürlich noch sehr abstrakt, man konnte es weglächeln; hat von Entschleunigung geredet, von einem Perspektivenwechsel. Durchatmen tut ja auch mal ganz gut und so weiter. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir in der vollen Tragweite getroffen wurden. Irgendwann wurde es aber real. Als Tiefschwarz waren wir aber auch nicht das typische deutsche Unternehmen. Die vergangenen zwei Jahrzehnte haben wir mehr oder weniger hauptsächlich im Flugzeug zugebracht. Insofern war es für Basti und mich auch im ersten Moment eher eine gar nicht so verkehrte Abwechslung zu unserem Arbeitsalltag. Aber irgendwann war das alles nicht mehr lustig. Wobei uns die Flexibilität, die wir uns in mehr als dreißig Jahren Nachtleben antrainiert haben, mit Sicherheit geholfen hat. Irgendwann ist das aber aufgebraucht. Dann nervt es nur noch.
Wie sieht es für die Künstler des Nachtlebens momentan aus?
Der Effekt schlägt auf alles durch. Weil Künstler, Label und Clubs miteinander verwoben waren. Natürlich kannst Du weiterhin ins Studio gehen und Musik produzieren. Aber wir machen halt elektronische Tanzmusik. Und es kann jetzt niemand tanzen gehen. Klar, unsere DJ-Kollegen könnten die Musik vielleicht in DJ-Streams spielen, aber … naja. Am Anfang sind auch viele ins Studio gegangen, um «endlich mal die Musik zu machen» die sie schon immer machen wollten. Wunderbar — aber irgendwann war vielleicht auch dort die Luft ‚raus? Aus der nischigen Welt des Ausgehens und Auflegens hatte sich in den vergangenen Jahren eine Nachtlebenindustrie entwickelt. Alles war hier auf die Live-Performance zugeschneidert. Um den Ball weiter im Spiel zu halten, um mit weltweiten DJ-Gigs Geld zu verdienen. Für meinen Bruder und mich ist das aber durchaus ein Traumjob gewesen.
Der Stadion-DJ war schon eine seltsame Figur…
Im Positiven ist EDM bald von besserer Musik abgelöst worden. Beispielsweise durch DJ Solomun oder auch DJ Dixon, die ebenfalls dem Massengeschmack zu entsprechen scheinen, aber mit coolem Sound. Der basisdemokratische Effekt einer Abfahrt für Alle wurde durch die Power des Internets noch verstärkt. Egal ob in Sibirien oder auf der Schwäbischen Alp: Alle bekamen immer alles mit. In real time. Tja. Der Teufel und das Engelchen mal wieder: Einerseits ist es gut, dass es die Globalisierung durch das Internet gibt, andererseits nervt es auch hin und wieder, weil alles andauernd verfügbar geworden ist. Und dementsprechend das Konsumverhalten: Wenn die Leute mit dem Handy filmend auf dem Dancefloor stehen. Die Erinnerungen an den Aufbruch, Mitte der Neunziger Jahre, an Schweiß und Tränen, an das Wühlen in Plattenkisten, waren verblasst.
Und die Erotik?
Jein. Natürlich gab es weiterhin das Senden vom DJ auf den Dancefloor und von dort aus zum DJ zurück. Da gab es schon Energie.
Das klingt nach fernen Zeiten. Auch dass Du nach Asien aufbrechen könntest, Basti nach Südafrika klingt schon sehr unwahrscheinlich, beinahe märchenhaft.
Witzigerweise gibt es auch jetzt gerade diverse Hotspots auf der Welt, wo man sich um Corona nicht zu kümmern scheint. Tulum in Mexiko, zum Beispiel, boomt. Da feiern sie. Dann hören wir immer wieder von Partys aus Asien. Und im vergangenen Sommer hatte es auch bei mir ein schmales Fenster gegeben, da war ich in Athen — aber coronasafe — und einmal an der Côte d’Azur, in St. Tropez. Dort fühlte es sich an, als ob das Publikum auf dem Dancefloor sich von Corona freigekauft hatte. Für die gab es in dieser Nacht kein Corona — bizarr! Dementsprechend war die Côte d’Azur dann auch eine Woche später komplett dichtgemacht.
Fehlt Euch das Reisen?
Es gibt jetzt gerade die Tiefschwarz-Retrospektive im Stuttgarter Stadtpalais, von daher waren wir etliche Male dort. Geschäftsreisen sind ja weiterhin möglich. Auch ins Ausland. Und das finde ich auch alles nicht so tragisch. Wir sind in der beglückenden Lage, jahrzehntelang intensivst unterwegs gewesen zu sein. Wir zehren von unseren Erinnerungen. Und mir persönlich langt auch Brandenburg. Aber die zwischenmenschlichen Beschränkungen tun mitunter weh. Bislang gab es in meinem direkten Umfeld vier Fälle; im familiären wie im Freundeskreis. Und die Einschläge kommen näher.
Wieviele Risiko-Begegnungen zeigt Dir die App derzeit an?
Gar keine. Ich hatte aber auch schon 13.
Ich habe mir Eure Austellung «Dance Till You Popo» angeschaut, es ist ja gerade nur am Bildschirm möglich: Da spürt man schon die Grenzen von Online. Es ist nie das selbe wie vor Ort.
Ja. Todtraurig. Aber wie auch anders — es geht ja um einen Zeitraum, dreißig Jahre Nachtleben-/ DJ-Karriere, und es geht um zwei Clubs, On-U und Red Dog, von denen das On-U von Tobias Rehberger als Installation nachgebaut wurde. Die besichtigt man jetzt digital zweidimensional. Im Nachtleben geht es unterm Strich ja um folgendes: Um Berührung. Um Schweiß. Das kann man digital nicht transportieren. Ursprünglich sollte die Ausstellung bloß bis April gehen, jetzt geht sie aber bis August. Glücklicherweise! Wir sind positiv gestimmt und sagen: Sie wird also auch auch analog begehbar sein. Und in den drei Monaten bis dahin veranstalten wir halt noch so viel es geht digital aus den Ausstellungsräumen heraus und um die Ausstellung herum. Die ganze Ausstellung, der Raum an sich ist wirklich irre geworden! Tobias Rehberger hat ein Wunder vollbracht, es geht um Vergangenheitsbelebung. Wir kennen uns von übrigens seit einem gemeinsamen Vorbereitungskurs auf die Kunsthochschule: Tobias hat dann an der Städelschule in Frankfurt studiert und ich an der Kunstakademie Stuttgart. In dieser Zeit hat Basti in Hamburg damals Schlagzeug studiert.
Du hast vorhin von den Berührungen gesprochen, deren Zauber sich nicht über Internet vermitteln lässt — das gilt auch für Düfte. Beschreib mir doch bitte am Telefon, was Dir an Oloid gefällt?
Ich bin total begeistert. Der Duft sticht einem nicht ins Auge, sondern im höchst positiven Sinn in den Verstand. Ich bin schon seit ein paar Jahren wieder auf dem Parfum-Trip. Davor hatte ich mindestens zehn Jahre, in denen ich nichts mehr aufgetragen hatte. An Oloid finde ich schon den Flakon ansprechend. Als Du es mir zum ersten Mal unter die Nase gehalten hast, dachte ich Wow.
Das war die Wirkung des Hedions, das hat Dir Vertrauen eingeflößt…
Das hat meine Lockstoffe verstärkt — Hahaha!
Und Deine Anziehungskraft potenziert. Beziehungsweise: Eure. Denn Basti verwendet es ja seitdem auch.
Klar, wir ziehen uns jetzt gegenseitig an.
Das ist schon Euer Image, oder? Wie Ernie und Bert in der Sesamstraße liegt ihr nebeneinander in zwei Betten, auf dem einen ein B, auf dem anderen ein A…
Lustigerweise war das zu Anfang tatsächlich noch so. Da wir Brüder sind, wurde für uns des öfteren nur ein Doppelzimmer gebucht. Aber irgendwann haben wir uns dann davon auch emanzipieren können. Und seitdem werden wir zunehmend auch als zwei eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen.
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